Off Beat Magazin März April/2021
Selten stehen Bühnenbild, Libretto und der Weg der Musik zum Ohr des Hörers so im Einklang mit dem Thema wie bei „Rekonstruktion 5.0“. „Con tempo“, der Frankfurter Kulturverein für zeitgenössische Musik, übertrug das Kammerstück des Schlagzeugers und Komponisten Udo Diegelmann zwischen dem 27. Februar und dem 2. März in vier Aufführungen via Livestream aus dem Gallustheater. Das „con tempo ensemble 2020“ spielte die „Reminiszenz an den Beginn der Coronazeit in 5 Sätzen und 5 Szenen von März bis April 2020“. Neben dem musikalischen Leiter Diegelmann führte Ulrich Cyran Regie . Für „Rekonstruktion 5.0“ verlieh die Hessische Kulturstiftung dem Frankfurter Komponisten 2021 ein Stipendium.
Die Szenerie: Eine Frau und ein Mann sitzen in Jogginganzug und Pyjama auf Stühlen, darunter liegt ein Teppich aus. Hinter dem Paar spielen die beiden Schlagzeuger und die Pianistin: „Auf der ganzen Welt macht alles dicht, und jeder Mensch bleibt zu Hause. Nur lebenserhaltende Mechanismen bleiben aufrecht erhalten.“
Jeder, der hin und wieder die Tagesschau und Talkshows sieht, hörte die Sätze unzählige Male. Diegelmann komponierte nicht nur das einstündige Werk für Sopran, Bariton, Marimbaphon, Pauke und Klavier, er schrieb auch das Libretto. Was in den Monaten an Sprachschablonen über den Bildschirm flutete, verdichtete Diegelmann durch Sätze wie, „wir werden mit Corona leben müssen“, und dem Staccato von „Klopapier – ist aus“, „Händedesinfektionmittel“ oder „Veranstaltung – ist abgesagt“ zu absurdem Musiktheater. Diegelmann bedient sich Begriffsadditionen, die im kollektiven Gedächtnis haften bleiben dürften.
Der Komponist, der selbst das Marimbaphon spielte, kolorierte die Texte mit Elementen der Minimalmusik. Durch die redundanten Verschiebungen von Taktwechseln erschaffen die Melodien eine Atmosphäre von Schlafanzug, Stillstand und Floskel, „wir sollten in Kontakt bleiben“.
Zäsuren setzen die Zitate des indischen Philosophen Jiddu Krishnamurti, die Blicke ins eigene Selbst. Ein Rezept des Entrinnens kann niemand mischen: „Die Wahrheit ist ein Land ohne vorgegebene Wege.“ In der Malaise liegt auch die Schönheit, von der die 'Ich-Stimme' spricht: „Wenn ich mit dem Fahrrad abends durch Frankfurt fahre und es ist Lockdown, dann atme ich frei durch.“ Die Klänge schweben an den Stellen.
In der Kultur herrscht Depression. Als fix gilt: „Neun Milliarden Euro, um die Lufthansa-Solvenz zu sichern.“ Ansonsten: „Konzerte?- winkt ab. Gruppenunterricht? – winkt ab.“ Die Konsequenz für Künstler: „Die Verantwortlichkeit liegt immer noch bei jedem Einzelnen.“
Das Publikum vor den Laptops konnte sich über Top-Musiker freuen. An den 5 Solo-Pauken saß Josef Schweng. Neben dem 5-Oktaven-Solo-Marimbaphon-Part übernahm Udo Diegelmann Sprechpassagen. Gemeinsam mit Annette Schneider am Klavier entstand ein Trio der rhythmischen Präzision und klanglichen Differenziertheit. In puncto Schauspiel und Gesang glänzten der Bariton Eric Lenke und die stimmgewaltige Sopranistin Florentine Schumacher, die klangschön und mit unbestechlicher Intonation nuanciert durch die Höhen tanzte. Für eine professionelle, bestens funktionierende Übertragung des Konzerts sorgten Julian Schmelzle an der Kamera und Robin Günther, verantwortlich für den Ton.
Wehmütig wirken im späteren Verlauf des Stücks die jazzigen Passagen. Vor dem inneren Augen entwickeln sich Bilder wie nachts um zwei nicht mehr ganz nüchtern an der Bar zu stehen, wenn so langsam die Erkenntnis dämmert, 'du gehst heute doch alleine heim'. Die Reminiszenz an Frustrationen der Vergangenheit verwandelt die Gegenwart in Utopien.
Stefan Mangold
Referenz von Professor Jürgen Blume
Packende Komposition und Wiedergabe von „Rekonstruktion 5.0“
Lieber Herr Diegelmann,
ich habe gerade Ihre Streaming-Aufführung von „Rekonstruktion 5.0“ erlebt. Das war fesselnd von der ersten bis zur letzten Minute. Sie haben ja alles geschaffen, den Text, die Musik und die Einstudierung. Das war eine fantastische Leistung. Der Text war brandaktuell und hat konzentriert und im Zeitraffer die fünf Monate März bis Juli noch einmal in ihrer bedrängenden Art in Erinnerung gerufen. Ihre Musik war eindringlich und passte genau zu diesem Text und zu dem Inhalt.
Es waren im Grunde alles perkussive Instrumente – die Pauken, das Marimbaphon und das Klavier. Besondere Farben kamen überleitend wie ein Vorhang zwischen den Akten dann noch von den übrigen sanfteren Instrumenten. Auch das war als Gliederung und Kontrast sehr überzeugend.
Dass Sie als kompositorischen Stil Patterns verwendet haben, wie sie dem Minimalismus nahestehen, trifft den Nerv des Inhalts sehr gut. Das passt zu den bohrenden Fragen und den sich im Kreise drehenden Zwangsmaßnahmen und Bedrohungen. Die Klangfarben der Percussions-instrumente und die freitonalen Motive und Akkordbildungen in Marimbaphon und Klavier haben eine hohe Spannung erzeugt. Dazu beglückwünsche ich Sie sehr herzlich.
Die Musikerinnen und Musiker haben eine großartige Leistung vollbracht. Ich denke, es ist, obwohl es eine Gemeinschaftsleistung war, erlaubt, die Sopranistin Florentine Schumacher hervorzu-heben, die ihren Text sprachlich und gestisch fesselnd und ihre Gesangspartie musikalisch sicher und überzeugend gestaltete. Auch das Zusammenwirken mit dem Bariton und Schauspieler Eric Lenke hatte eine gute Wirkung, um die individuellen und kollektiven Ängste und Fragen der Annäherung und Entfernung zum Ausdruck zu bringen. Lenke war hinsichtlich der Mikrofonierung – so hatte ich jedenfalls den Eindruck – nicht so perfekt ausgesteuert wie Florentine Schumacher. Sie selbst, Herr Diegelmann, Josef Schweng und Annette Schneider; Sie haben mit rhythmischer Präzision und klanglicher Differenzierung sowohl die Kulisse als auch das Innenleben der Protagonisten gut spürbar vermittelt.
Besonders gelungen war auch die Inszenierung von Ulrich Cyran. Die Bewegung der beiden singenden und sprechenden Personen, die Beleuchtung, die Schutzanzüge – das alles führte zu einem gelungenen Gesamtergebnis. Die Kameraführung von Julian Schmelzle hat dazu beige-tragen, dass man neben dem Gesamtensemble weitgehend die wichtigsten Akteure sehen konnte. Dazu hat sicher auch Ihr Schnitt beigetragen. Auch der Ton, für den Robin Günther verantwortlich war, sorgte größtenteils für klangliche Präsenz aller Mitwirkenden, vor allem der Sopranistin.
Es ist gut, dass Sie die Aufführung im Gallus-Theater aufgezeichnet haben und senden können. So hat sich die Arbeit gelohnt. Hoffen wir, dass in nächster Zeit noch Live-Aufführungen stattfinden dürfen. Ich bin dankbar, dass ich diese packende Streaming-Aufführung sehen konnte.
OFFENBACH POST V. 30.6.2021
Der Komponist spielte Marimbaphon und Percussion, Josef Schwerig die Solopauke und Annette Schneider Klavier. Die Instrumentalisten meisterten die Umsetzung der dicht gewebten Partitur hervorragend und klanglich fein ausgehört. Eine besondere Anerkennung verdienen aber die Sopranistin Florentine Schumacher und der Bariton Eric lenke. Beide sangen mit Intensität und deutlicher Sprache - das Ganze mithilfe der Regie von Ulrich Cyran sogar halbszenisch.
Die Zuhörer wurden mit den Schlagworten und Maßnahmen konfrontiert, die im vergangenen Jahr im Fernsehen omnipräsent waren. Besonders überzeugend war Florentine Schumacher mit ihrer leuchtenden Stimme, klaren Diktion sowie stimmlichen und darstellerischen Wandlungsfähigkeit. Musikalisch auch in schwierigsten Tonfolgen absolut treffsicher und mimisch-gestisch faszinierend entwickelte sie eine spannende Interaktion mit dem ebenfalls sehr ausdrucksstarken Eric lenke. Beide vermittelten eindringlich die Gedanken und Gefühle, die wir alle nur zu gut kennen: Zwischen Resignation und hoffnungsvoller Utopie.
Referenzen zu Rekonstruktion 5.0
Das war ein eindrucksvolles Musiktheater! Musikalisch sehr reich mit Anspielungen an Kindermusik, Mussorgsky, Pop und asiatischer Musik – also das habe ich darin gehört. Ostinati, beharrende, dann wieder aufbrechende Momente. Kleines szenisches Spiel und einer großen, wunderbaren Schumacherin, die in das ganze noch Witz hineingebracht hat!
Herzlichen Dank!
Dr. Michael Hohmann
Direktion Romanfabrik, Frankfurt am Main
Telefon 069 / 49 40 902
Telefax 069 / 43 89 98
m.hohmann@romanfabrik.de.
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..ein konstruktives Musiktheater, das einfach daherkommt und im Verlauf eine Kraft entwickelt, der man sich nicht entziehen möchte - 3 Musiker und 2 Sänger:innen, die mit Witz und in ungewöhnlicher Instrumentalbesetzung (5 Pauken, Marimba, Glockenspiel, Percussion, Klavier) ein anspruchsvolles Stück aufführen- und toll, wie lebhaft und interagierend die 5 Konzertierenden zwar vor leeren Theatersitzen jedoch mit einem imaginierten Publikum spielen - vielschichtig so wie das Libretto das Thema Corona und (Künstler-)“Existenz“, angemessen und kritisch zugleich verhandelt. Cool. Klasse. ein gelungenes Werk.
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Birgitta Assheuer
Fachkraft im Bereich Schöne Künste
Obergasse 26d
61118 Bad Vilbel
0173/66 82 119
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Vielen Dank!
Just watched the “live” from Udo Diegelman and his ConTempo Ensemble.
Very actual theme, convincing music and lyrics and a very professional production and performance.
Congratulation to all participants.
Ney Rosauro
Percussionist/Autor/Komponist
Lieber Udo Diegelmann,
vielen Dank!
Es hat wir ausnehmend gut gefallen!
Die Ereignisse der letzten Monate in Schlagworten und Erlebenswelten Revue passieren zu lassen, hat mich sehr geordnet und mir Zeit gegeben.
Es ist immer wieder erschreckend, sich zu vergegenwärtigen, dass über die ganzen Corona-Monate „Kultur“ in einer Dauerschleife abgesagt wird.
Die Musik mochte ich total gerne, wie ein Uhrwerk von leuchtenden Instrumentalklängen, die an so viel Verschiedenes erinnern und dabei so klare Motive haben - klasse!
liebe Grüße
Caroline Jahns
2. Vorsitzende des Frankfurter Tonkünstlerbundes
Vice Présidente de la Fédération des Musiciens Classiques de Francfort
Vice Chairwoman of the Frankfurt Federation of Classical Musicians
Sprecherin der Koalition der Freien Szene Frankfurt
Porte-parole de la Coalition de la Scène Libre des Ars de Francfort
Spokeswoman of the Coalition of the Frankfurt Independent Art Scene
Diplom-Gesangspädagogin
Pédagogue de Chant Diplomée
Graduated Vocal Pedagogist
Frankfurter Rundschau
vom Donnerstag, 16. Oktober 2008
Gastland Türkei
Palast des Ostens
Zwei unsterblich Verliebte, die im Diesseits nicht zueinander finden, sowie die Begegnung eines Hirten und eines Räubers: Das sind zwei der alten anatolischen Geschichten, die der Istanbuler Autor Murathan Mungan in seinem Buch "Palast
des Ostens" zu einem Crossover mit der Moderne umgeschrieben hat. Die beiden Komponisten Udo Die- gelmann und Richard Wenzel haben sie zusam- men mit Mungan und dem Ensemble "con tem- po" nun in zeitgenössisches Musiktheater unter dem Titel "Die Schatten von Istanbul" verwan- delt. Am heutigen Donnerstag wird Mungan selbst bei der Aufführung im Gallustheater anwesend sein. rut
Neue Presse vom 11.11.2004
Neue Musik mit Humor
Die Herbsttage für neue Komposition eröffneten in der Frankfurter Romanfabrik.
Soweit bekannt, ist bisher noch kein Komponist auf die Idee gekommen, Texte des meistgelesenen deutschen Lyrikers unserer Zeit zu vertonen. Warum Robert Gernhardts Gedichte mit Neuer Musik möglicherweise schwer zusammengehen könnten, ist wohl die Frage. Es könnte sein, dass die milde Ironie, die bisweilen larmoyante und männerbewegte Melancholie, das lustvolle Bad Gernhardts im Unaussprechlichen, die in ausgewählte Form und Verse gegossene Spannung von Pathos und Alltag dem ernsthaften musikalischen Diskurs im Wege steht. Oder anders: Es ist schwer zu glauben, dass Neue Musik auch zum Lächeln bringen kann.
Das Eröffnungskonzert der 2. Herbsttage für neue Komposition in der Romanfabrik führte die Lösung dieser Problematik eindringlich vor. Werke von Hubert Hoche, Udo Diegelmann und Gerhard Müller-Hornbach suchten nach gangbaren Wegen, konzentriert auf die Besetzung des «Con Tempo Ensemble» mit Udo Diegelmann am Schlagzeug, dem Trompeter Peter Knodt, dem Kontrabassisten Johannes Knirsch, dazu dem virtuos zelebrierenden Tenor Pere Pou Llompart. Hoche und Diegelmann strukturieren die Texte («Schöne Fraun», «Welt 17») durch instrumentale Kommentare und freibetonende Textdeklamation. Mehr oder weniger assoziative Vertonungen. Müller-Hornbach nimmt sich mit dadaistischem Verfremden (nur Vokale, nur Konsonanten) die Texte vor – eine höhere Ebene von verbal-instrumentaler Verschmelzung. Ob hier auch noch eine höhere Ebene von Humor möglich wird? Immerhin, ein gelungener Versuch.
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Frankfurter Rundschau 2002, Kulturspiegel
Erscheinungsdatum 08.11.2002
C- & A-Moll
Neue Musik und Jazz mit dem Frankfurter New Music Trio
Von Bernhard Uske
Gäbe es einen Gleichstellungsbeauftragten für Jazz - das Auftaktkonzert der "Frankfurter Herbsttage für Neue Komposition 2002" wäre nicht durchgegangen. "Neue Musik und Jazz" war dessen Thema, aber wo bitteschön blieb der Jazz? Die drei Mitglieder des Frankfurter New Music Trio - Annemarie Roelofs, Vitold Rek und Udo Diegelmann haben als Geigerin und Posaunistin, als Kontrabassist und Schlagzeuger in der Improvisations- und Jazzszene einen guten Namen und ihre eigenen Werke, die das Programm des Abends im Theaterhaus in Gestalt von fünf Uraufführungen ausmachten, passten dazu.
Allerdings hat der Kontakt mit der Neuen Musik, der sich hier dokumentierte, anscheinend eine Art Jazz-Ausnüchterung bewirkt und die Wurzeln des Idioms austrocknen lassen. Bei Udo Diegelmann, der als höchst sublimer Schlagzeuger und Komponist in Frankfurt bekannt ist, war man solch experimentelle Klangresultate gewöhnt.
Dass aber auch Annemarie Roelofs und Vitold Rek sich auf solch ungewohntem Klangboden bewegen, war eher überraschend, wenngleich charakteristischer Personalstil durchaus erhalten geblieben ist. In zarter Nostalgie artikulierten sich die Intonationen polnischer Volksliedtradition (Tell me my boy) und slawisch-russischer Pentatonik (Hey you) bei dem polnischen Ausnahme-Jazzbassisten, dessen hypersensible Instrumentenbehandlung allein schon ein Genuss war.
Gegenüber den beiden männlichen Klangsensibilisten war die Posaune blasende und Geige spielende Roelofs fast so etwas wie das Prinzip Forschheit. Kalkül und Distanz überwogen auch bei ihrem repetuum mobile (2002), das so etwas wie die Geburt des Zusammenspiels aus dem Geist des Webstuhls bekundete nach dem Motto: alles, was grooven will, ist doch nur Mechanik. Ihr finaler C-& A-Moll-Beitrag in a-moll ist ungleich c-moll war eine Art motorischer Organentnahme am Leichnam von Johann Sebastian Bachs a-Moll-Violinkonzert, die ein Alfred Schnittke nicht besser hätte vornehmen können.
Udo Diegelmanns Five Movements für Violine, Posaune, Kontrabass, Schlagwerk und Elektronik waren das zeitaufwändigste Werk. Das Stück basierte über weite Strecken auf Tonhöhen der sonst eher nur als Pulsgeber genutzten Schlaginstrumente Becken und Trommel samt einigen abstrakten Geräuschbändern und dem Umspielen durch die Trio-Kombattanten. Eine längere Rhythmus-Sequenz darin wirkte wie das Vorzeigen des einstigen Jazz-Wurzelwerks, das nurmehr wie im Schauglas existiert.
So war der Abend eine konstruktive Paradoxie: Neue Musik und Jazz endlich geeint.
Südkurier vom 15.2.2000
Zwingende innere Auseinandersetzung mit Klängen
Ensemble Con Tempo mit Klangszenen in der evangelischen Versöhnungskirche in Waldshut
Musik, Maschine, Materialien und im Schnittpunkt der Mensch - rund 100 Waldshuter erlebten die Faszination zeitgenössischer Musik mit Kompositionen von Bröder, Diegelmann, Suberg und Xenakis.
Ralph Mangelsdorff, der zu Deutschlands derzeit bekanntesten Countertenören gehört, führte mit seinen grossen stimmlichen Fähigkeiten den Abend bei "Kassandra" auf einen Höhepunkt.
Udo Diegelmann, Komponist und Percussionist dieses Abends, harmonisierte mit dem Marimbaphon elektronische Elemente, schien, während des Spiels zum Bestandteil einer „Mechanik“ zu werden, der er aber feine Nuancen der Veränderung einflocht. Das Thema, der Rhythmus, sie drangen vom Kopf bis in die Zehenspitzen, legten es mit ihrer harmonischen Ausrichtung scheinbar auf eine Versöhnung zwischen Mensch und Maschine an.
Die stärkste Verfremdung brachte Sehnsucht von Alois Bröder. Das Publikum wurde konfrontiert, entfremdet von Romantik, und ging mit. Nicht nur am Beifall war abzulesen, dass die Zuhörer engagiert erleben und mitdenken wollten. Die zeitgenössische Musik an diesem Abend war fern vom reinen Experiment um des Experiments willen. Durchdacht jede Note, jeder Rhythmus, jedes eingesetzte Instrument.
Frankfurter Rundschau, Kulturspiegel vom 1.2.2000
Beamtenkuh mit mentaler Zitze
das Ensemble con tempo präsentierte Prophetisches in Neuer Musik: Werke von Udo Diegelmann und Andreas H.H. Suberg
Mit der Zeit gehen, sich Zeit nehmen, mit Tempo spielen - all das mag im Namen des Ensembles stecken.
Andreas Subergs geräuschklangintensive Musik, elektro- akustisch bearbeitet, bildete einen tragenden Hintergrund für das Timbre der phänomenalen Countertenorstimme Ralph Mangelsdorffs.
Der 1959 geborene Udo Diegelmann hingegen, hat sich ganz einer rhythmisch zentrierten, minimalistisch ausformulierten Komponierweise verschrieben. Seine Kompositionen waren gleichsam die Kehrseite der Subergschen: Pattern-Taylorismus, gesteigert durch vom Band zugespielte weitere Fertigungsstufen. Schweisstreibend war das Geschäft des Schlagzeugers, der alle Schlegel beisammen halten musste um das von ihm geschaffene Räderwerk am Laufen zu halten.
Bei Iannis Xenakis Kassandra war es dann Mangelsdorff, dem der Schweiss auf die Stirn trat. Was hier, in der Katastrophenversion der aus Troja verschleppten Seherin, an Deklamation gefordert war, stellte alles in den Schatten.
In der Bundesrepublik Deutschland scheinen die Seher und Seherinnen sich allesamt im Hohen Haus zu Bonn bzw. Berlin zu sammeln, wo sie besonders treffsicher auch sich selbst zu deuten verstehen. Alois Bröder hat die gesammelten Schimpfwörter der Bundestagsabgeordneten in einer lakonischen Performance zwischen Mangelsdorff und Diegelmann mit einem Gedicht Friedrich Rückerts, Gestillte Sehnsucht, konfrontiert. Was kommt gezogen auf Traumesflügeln?, fragt der Dichter, und die kalten Seher, alles ahnenden und tief Blickenden antworten: Banditentum, Bankrotteur, Beamtenkuh; Cheflügner, Eierttänzer, Geldraffer, Lackschuh-panther, Petersilien-Guru, Sauhaufen.
B.Uske
Dillenburger Zeitung vom 25.5.1999
con tempo: Kontraste -
Neue Musik in der Evangelischen Stadtkirche
Das con tempo Ensemble überzeugte mit zeitgenössischen Werken im Wechsel mit mitelalterlichen Motetten. Als Einstieg hatten die Künstler eine Präsentation auf dem Marimbaphon gewählt- Solist war Udo Diegelmann. Die präzise Spielweise und die eingehende Rhythmik mit elektronischer Untermalung gaben dem Stück etwas meditatives.
Die mittelalterlichen Motetten faszinierten mit der Stimme des Countertenors Ralph Mangelsdorff. Die stimmliche Perfektion und die grosse Ausdruckskraft waren grossartig.
Im letzten Stück des Ensembles konnte man Neue Musik erleben. Die Darsteller vermischten musikalische Klangwelten aus allen Bereichen. Scherbenklänge, Gesangsfetzen und Schlagzeug wurden mit Tonbandeinspielungen untermalt und entführten die Zuhörer in eine neue Welt der Unterhaltung. Diese hatte nichts mit dem Platz auf dem Sofa zuhause gemein, der Tausch mit der Kirchenbank wurde auf diese besondere Art belohnt.
Dillenburger Zeitung vom 21.5.1997
Musikexperiment fand aufmerksames Publikum
Ralph Mangelsdorff, der im vegangenen Jahr in Dillenburg als Schwan in der Aufführung der Carmina Burana begeisterte, zeigte abermals seine beeindruckenden stimmlichen Fähigkeiten. Das Werk Kassandra stellte enorme physische Anforderungen an Sänger und Schlagzeuger. Mangelsdorff fesselte die Zuhörer mit theatralischen vorgetragenen höchsten extatischen Gesängen der Kassandra, um sofort im Anschluss in die Bassrolle des Chorführers zu schlüpfen. In wohlgesetztem Kontrast folgte aus Musik für die Messe ein mittelalterlicher Gesang: Personarem trinitatem für Countertenor und Schlagwerk.
Den Schluss des Konzertes bildete eine Uraufführung des Schlagzeugers Udo Diegelmann: FellZeitBänder. Dieses Werk für Countertenor, 5 Fellinstrumente und Tonband ist in Werk der Minimal -Art. Während das Tonand die rhythmische Vorgabe wiederholt, begann Udo Diegelmann mit seinen Instrumenten eine Phasenverschiebung zu diesem Rhythms, so dass sich Überlagerungen ergaben. Der vom Countertenor vorgetragene Text bezog sich inhaltlich auf das Wesen dieser Meditationsmusik: Zeit im Fluss der Veränderung.... Ein die Zuhörer packendes Werk, bei dem sich Sänger und Schlagzeuger in enormer Konzentraton ergänzten. Die Zuhörer dankten am Schluss mit ihrem Aplaus für ein Konzert, das durch seine Vielschichtigkeit und Farbigkeit beeindruckte und das durch hohe Professionalität und einer konzentrierten Ausführung, fast schon einer Besessenheit bestach.
Dillenburger Post vom 20.5.1997
Con tempo
Ungewöhnliche, aber interessante Klänge in der evangelischen Stadtkirche
-Den Abschluss machte das Ensemble mit der Uraufführung des Stücks FellZeitBänder von Udo Diegelmann. Noch einmal präsentierten Diegelmann und Mangelsdorff dem Publikum ihre hochkarätige technische Leistungsfähigkeit, die am Ende des Konzerts für jeden ausser Frage gestanden haben dürfte.